Bitte Abstand halten

Die junge Mutter von heute, wobei jung ausdrücklich nicht meint „jung an Lebensjahren“, sondern im Sinne von „sie ist noch nicht allzu lange Mutter“, ist politisch korrekt, interkulturell, CO²-neutral, biologisch abbaubar und vegan, kurzum: unerträglich.

Bei der Geburt ihres Trabanten wird die Plazenta eingetauscht gegen einen Pilotenschein, denn fortan helikoptert sie um die Frucht der Lenden ihres Lebensabschnittsgefährten herum, wie es sonst nur im Flugabwehrraketenfeuer getaufte,  hartgesottene Vietnam-Piloten in ihren Hueys vermochten, die eingekesselte Kameraden hinter den feindlichen Linien rausholten. Sie verteidigen ihre lebensuntaugliche Brut auch bei den nichtigsten Anlässen, wie die Löwenmutter ihre Jungen. Wobei die Löwinnen ihrem Instinkt folgen, die junge, in KBA-Baumwolle, gewandete junge Mutter gehorcht lediglich den taxierenden Blicken anderer Mütter ähnlich pädagogischer Provenienz.

Wehe dem, der in ihren Fokus gerät und sich, auch ungewollt, unbotmäßig benimmt. Wehe MIR!

Wir schreiben das Jahr 2020 und der dritte Planet unseres Sonnensystems befindet sich im Würgegriff von Covid 19. Und nicht nur der Planet, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Selbiger ist ja ohnehin ein zartes Pflänzchen, wird er doch meistens geschont und ist mangels Training nicht sonderlich ausgeprägt.

In Zeiten von flächendeckenden Ausgangssperren leistet das kleinste Bundesland der Republik erfolgreich Widerstand und beschränkt sich auf das bundesrepublikanische Kontaktverbot. Was bedeutet, dass mehr als zwei Personen nicht zusammen raus dürfen. Dessen eingedenk bewege ich mich allein, nur mit meinem Fahrrad als Gesellschaft, auf den nahe gelegenen Deich, um beim Biobauern das erste Bio-Eis des Jahres zu ergattern. Dort angekommen hatten ca. 50 andere Menschen dieselbe Idee.

Das Eis lagert in einer Kühltruhe, durch die Kontaktsperre herrscht Selbstbedienung. Auf Vertrauensbasis wird das Geld in eine Kassette geworfen.

Vor der Kühltruhe eine Dame mittleren Alters, die gerade das Geld in der Kassette deponiert. Sonst im Umkreis von 2-3 Metern niemand zu sehen.

Ich rolle also an die Kühltruhe, stelle mein Rad ab, wähle ein Erdbeereis am Stiel und bezahle. Ich packe das Eis aus der Folie. Das Leben ist schön!

Und dann spüre ich den heißen Atem eine Löwin im Nacken…

„Sie haben sich vorgedrängt!“ Der vorwurfsvolle Ton boxt mich in die Magengrube. Ich entschuldige mich und teile ihr mit, dass ich sie und ihr Kind nicht bemerkt hätte, da sie nicht in der Nähe der Kühltruhe standen und dass noch ausreichend Eis vorhanden sei, widrigenfalls ich natürlich bereit wäre mein Eis an sie abzutreten.

„Wir haben den Sicherheitsabstand eingehalten“, dabei wedelt sie mit der Hand vage in Richtung ihres vor sich hin sabbernden, gerade des aufrechten Ganges mächtigen Jungen.

Ich schätze den Abstand zwischen Kühltruhe und Mensch gewordenem Steuerfreibetrag… Entspannte 6 Meter.

„Außerdem, was glauben Sie eigentlich, was Ihr Verhalten in dem Kleinen auslöst?“ Ich habe keine Ahnung und mache den Fehler das auch genauso zu sagen. Tatsächlich vermute ich, dass man da relativ wenig auslösen kann, außer dem Wunsch, möglichst schnell in die Fremdenlegion einzutreten, um diesem östrogenen Titanen tiefenpsychologischer Fürsorglichkeit zu entkommen. Was natürlich scheitern muss, scheuert der Wüstensand doch höchst unschön zwischen Pampers und Popo.

Ich bin ein weißer Mann Mitte 50, meine Eckzähne weisen mich als Fleischfresser aus, ich fahre ein höchst dekadentes, aber umso komfortableres E-Bike und meine Söhne sind schon lange aus dem Haus. Was also weiß ich schon von den Sorgen einer Jungen Löwin in winddichter Goretex-Membran?

In Erwartung meiner endgültigen Kapitulation tritt die arg Erboste an mich heran. Ich prüfe den Abstand…Infektiöse 50 cm.

Der Sicherheitsabstand, die unbekannte Größe.