Gemeinsame Synergien
Der Mensch gilt nicht nur als einzige überlebende Art der Gattung Homo, sondern auch als das am höchsten entwickelte Säugetier auf diesem Planeten. Ersteres ist seit ca. 200.000 Jahren fossil belegbar, über den zweiten Punkt darf man getrost geteilter Meinung sein.
Liebe Leserinnen und Leser, der Autor dieser Zeilen ist sowohl bekennender Kunde der Systemgastronomiekette “Zum Gasthaus der goldenen Möwe”, als auch Nutzer bzw. “User” zweier internetbasierter “Communities”, die sich sowohl im Privaten, wie auch im Berufsleben dem sozialen Miteinander verschrieben haben. Selbstverständlich zum Wohle der Menschheit. Dass beide Unternehmen börsennotiert sind, sei hier nur am Rande erwähnt. Für den weiteren Verlauf der Geschichte ist diese Tatsache von keinerlei Relevanz.
Wie bereits erwähnt, stehe ich auf Junkfood. Und ich besitze eines von diesen genial-praktischen und zugleich nervtötend-zeitraubenden Smartphones. Sie wissen schon, diese Mobiltelefone mit denen man telefonieren und Musik hören, Emails senden und empfangen, spielen und navigieren und sowieso ständig im Internet herumlungern kann. Eben diese Teile, die dem einzigen Überlebenden der Gattung Homo das Leben in so vielen Bereichen leichter machen können. Und weil Junkfood nicht den Anspruch hat, die volle Aufmerksamkeit des Konsumenten auf sich ziehen zu wollen (es sei denn die Burger-Soße quillt zwischen Brötchen und Mett heraus und tropft ungehindert aufs Chemisette), kann man mich hin und wieder dabei beobachten, wie ich, den Cheeseburger in der linken Hand, das Smartphone in der rechten, meine Emails abrufe und mal eben schnell nachsehe, was sich in meinen sozialen Netzwerken so tut. Denn natürlich gibt es zu den verschiedenen Anbietern dieser Communities auch die passenden Apps fürs Handy. Das ist ungesund und unkommunikativ. Ersteres ist unangenehm, Letzteres aber durchaus gewollt. Denn nichts ist lästiger, als mit echten lebenden Menschen, ungeschützt und ungefiltert von Virenscannern oder Firewalls, ins Gespräch zu kommen. Man stelle sich vor, die volle Aufmerksamkeit auf einen Gegenüber fokussieren zu müssen, der vor einem steht oder sitzt und, wenn es richtig blöd läuft, auch noch eine Antwort erwartet.
Dann doch lieber Facebook & Co. Dort trifft man sich gechillt im virtuellen Raum, plaudert, indem man seinen, meistens belanglosen, Sprechdurchfall mittels einer Computertastaur über den Datenhighway seinen Gesprächs-, bzw. Chatpartnern zum Lesen auf den Bildschirm jagt. Meinen Schülern versuche ich im Förderunterricht nahezubringen, dass es eine gesprochene deutsche Sprache gibt und eine geschriebene, und dass es leider unerlässlich sei, diesen Unterschied zu erfassen. Ein Beispiel. In Bremen, wie auch im Rest der Republik, wird schriftlich nach wie vor und unabhängig von jedweder Rechtschreibreform “über den spitzen Stein gestolpert”. Immer seltener trifft man auf einen Mitbürger, der das auch mündlich hinkriegt. Wenn dann aber auch schriftlich “über den schpitzen Schtein geschtolpert wird”, kann ein aufmerksamer Beobachter erste Anzeichen von Wahnsinn in meinem Blick ausmachen. Bei den Schülern Verständnis oder zumindest doch so etwas wie Akzeptanz in Bezug auf den oben erwähnten Unterschied hervorzurufen, ist ein eher sportliches Ansinnen meinerseits. Und wozu auch? Es geht ja auch so ganz gut. Im Chat wimmelt es von lol, rofl, XD, cu oder hdgdl. Gefühle werden mit entsprechend animierten “Emoticons” zum Ausdruck gebracht. Und dann komme ich Vollhonk um die Ecke und fasel etwas von Subjekt, Prädikat, Objekt. Von Verben, Nomen, Adjektiven und abverbialen Bestimmungen. Am Ende vielleicht noch von Nominativ, Genetiv, Dativ und Akkusativ… Am schlimmsten ist, dass ich bei mir ganz eindeutig das gleiche Verhalten erkennen muß.
Also, schneller Schnitt von eher privat genutzten sozialen Netzwerken, hin zu denen, die den angeblich erwachsenen und seriösen Geschäftsmännern und -frauen dabei helfen, problemlos ein tragfähiges und kommerziell nutzbares Netzwerk aufzubauen, zu unterhalten und zu erweitern. Wer will, kann mich auch dort finden. Und inzwischen habe ich auch begriffen wie es funktioniert, also nicht technisch gesehen: Wie lege ich mir ein Konto bzw. einen Account an, wie lade ich ein Bild hoch auf dem ich vielleicht nicht unbedingt, wahlweise, wie ein Schwerverbrecher oder Depp aussehe, wie trage ich die Eckdaten meiner Person ein. Das ist alles recht simpel. Nein, nein. Ist dieser Teil erledigt, gilt es ja Kontakte zu knüpfen. Als Starthilfe bietet sich da im Allgemeinen eine, datenschutztechnisch zwar uneindeutige, aber effektive Methode an. Es gibt in diesen Communities immer die Möglichkeit von einer integrierten Suchmaschine den eigenen Emailaccount durchsuchen und einen Abgleich mit den registrierten Mitgliedern einer solchen Community vornehmen zu lassen. Weiß man dann, wen man hier schon kennt, stellt man eine entsprechende Kontaktanfrage, die diese Person im Normalfall auch bestätigt. So kommt man also zu den ersten Kontakten. Je länger und je intensiver eine Community vom Anwender genutzt wird, desto höher klettert im Regelfall die Zahl der Kontakte auf dem eigenen Account. Es sei denn, dieser Anwender ist genauso naiv oder blöd wie ich, und glaubt ein interessantes, aussagekräftiges oder inhaltschwangeres Profil sei die Voraussetzung um Kontakte zu knüpfen. Also bitte, natürlich werden Sie damit zu Kontakten kommen. Sehr wahrscheinlich sogar werden Sie Kontakte in Ihrem Portfolio haben, mit denen Sie etwas anfangen können und die Sie beruflich vielleicht sogar nach vorn bringen. Das ist ja schlussendlich Sinn und Zweck dieser Community.
Tatsächlich jedoch tummeln sich in diesem virtuellen Kosmos jede Menge Jäger und Sammler, die ihre Existenzberechtigung darin sehen, möglichst schnell möglichst viele Kontakte anzuhäufen. Und zwar vollkommen losgelöst von der Grundidee, ein sinnvolles Netzwerk aufzubauen. Mitglieder mit mehreren tausend Kontakten sind keine Seltenheit. Wie aber kommen diese Hochleistungssammler zu dieser beeindruckenden Zahl direkter Kontakte? Der magische Begriff lautet “gemeinsame Synergien”. Sind Sie innerhalb dieser Plattform Mitglied von thematisch aufgestellten Gruppen, kann es Ihnen gut und gern passieren, dass Sie von anderen Gruppenmitgliedern angeschrieben werden:
Sehr geehrte Frau/Sehr geehrter Herr XYZ, wir sind beide in der Gruppe “Freiheit für die Gummibärchen, weg mit den Tüten”. Im Sinne des Gruppengedankens würde ich mich gerne mit Ihnen vernetzen, um unsere gemeinsamen Synergien zum beiderseitigen Nutzen einzusetzen.”
Sie freuen sich, dass Ihr Profil auf Interesse gestoßen ist und da es ein Mitglied derselben Gruppe ist, das Sie angeschrieben hat, wird es wohl auch gemeinsame Synergien geben. Sie schauen sich sein Profil an, staunen wieviele Kontakte der schon hat, denken sich, was für ein interessantes Gruppenmitglied das ist, bei so vielen Kontakten und fröhlich klicken Sie auf “Annehmen”. Und hören bzw. lesen im Zweifelsfalle nie wieder von diesem Menschen. Ein Kontaktsammler, der Ihnen vorgegaukelt hat, Sie interessant zu finden.
Wie machen die das? Ich habe da Verschiedenes ausprobiert:
Ich wurde Mitglied in einer Gruppe, deren erklärtes Ziel es ist, Kontakte um der Kontakte willen zu sammeln, egal wen, egal welcher thematische Hintergrund (oder muss ich “background” schreiben?).
Ergebnis: Einen leichter Schub bei der Anzahl der Kontakte.
Dann habe ich versucht mein Profil mit noch mehr Inhalt zu versehen, es gewissermaßen bedeutender, wichtiger zu machen.
Ergebnis: Der Markt hat nicht reagiert.
Weg mit seriösem Inhalt, her mit der ungeschminkten Wahrheit. Folgender Text war an geeigneter Stelle für eine gewisse Zeit in meinem Profil zu finden:
Ich suche SIE als Kontakt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Als Mensch sind Sie mir im Grunde vollkommen gleichgültig. Aber ich habe beschlossen mich, wie so viele andere SOCIAL NETWORKER auch, nicht mehr über Inhalte zu definieren, sondern ausschließlich über die Anzahl meiner Kontakte. Kontakte, Kontakte, Kontakte: Das ist der Trend und das will ich auch, egal wie sinnfrei es sein mag. Das merkt eh keiner. Auch potenzielle GEMEINSAME SYNERGIEN sind irrelevant. Wir werden keine haben. Genausowenig habe ich Angst vor diesen berüchtigten Kontakten, die ja jedem schaden sollen, der sie nicht hat. All das interessiert mich nicht. Quantität statt Qualität. ICH LADE SIE EIN, MEINEM NETZWERK BEIZUTRETEN. Allerdings habe ich keine Ahnung, ob es irgendeinen Nutzen für Sie hat. Das müssen Sie schon selbst herausfinden. Ich kann mich ja nicht um alles kümmern.
Und so begab es sich, dass mein Profil vermehrt besucht und mit Kontaktanfragen bedacht wurde. Und nun raten Sie bitte, wie die Kontaktanfragen gestaltet waren und es immer noch sind…
Sehr geehrter Herr Bothe, wir sind beide in der Gruppe “XYZ”. Im Sinne des Gruppengedankens würde ich mich gerne mit Ihnen vernetzen, um unsere gemeinsamen Synergien zum beiderseitigen Nutzen einzusetzen.
Also habe ich mein Profil ein weiteres mal überarbeitet. Aktuell ist dort folgender Text zu lesen: Ich biete eine pathologische Allergie gegen gemeinsame Synergien.
Nicht, dass Sie jetzt auf den Gedanken kommen, dass das etwas geändert hätte, aber wer jetzt eine Kontaktanfrage stellt und die arg gebeutelten gemeinsamen Synergien beschwört, kann meiner besonderen Aufmerksamkeit gewiss sein… Und das wollen sie doch, diese synergetischen Jäger.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Erfolg beim Netzwerken.
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