Igel-Pegida

Mutter Natur ist ja eine ganz Pfiffige. Weil sie weiß, dass im Herbst die Igel sich auf die Socken machen, um ein trockenes, möglichst frostfreies Plätzchen zu suchen, wo sie sich dem Winterschlaf hingeben können, ergeht zeitgleich an alle Laubbäume und Gehölze der Befehl, sich ihres Blattgrüns zu entledigen. Die lassen sich auch nicht lange bitten und schmeißen alles ab, was auch nur irgendwie den putzigen kleinen Stachlern dienlich sein könne. Zwischendurch schaut mal die eine oder andere Windbö vorbei und sorgt auf ehrenamtlicher Basis dafür, dass das Laub strategisch klug zu Haufen zusammengeweht wird, damit die Erinaceidae auch rechtzeitig vor dem Kälteeinbruch irgendwo unterkommen können. Soviel zur Theorie.

Was aber macht der Igel, der erwiesenermaßen ja ein Kulturfolger ist, wenn er es sich in urbanen Gefilden gemütlich machen will, und irrtümlich die denaturierten, spießbürgerlichen Gärten einer x-beliebigen Reihenaussiedlung am Stadtrand Bremens bewohnt? Er hofft auf den Homo Sapiens, der ihn ja im Sommer durchaus in seinem Garten willkommen heißt, auf das er der Schneckenplage den Kampf ansagen möge. Doch kommt die „gold’ne Herbsteszeit“ und die Blätter leuchten weit und breit, erweist sich des Igels Hoffnungsträger weitestgehend als Totalausfall. Denn der Garten muss nicht nur winterfest gemacht werden, er soll dabei auch noch gut aussehen. Und hier beginnt des Igels Elend. Denn Laubhaufen und ein ordentlicher Garten, der auch vor den Augen der Nachbarn Gnade findet, passen nun mal nicht zusammen. Ein sonniger Sonntag im Herbst wird dann gerne genutzt, um dem Laub zu Leibe zu rücken, und es in kalte, blaue Plastiksäcke zu stopfen, damit es bei nächster Gelegenheit biologisch-wertvoll zum Recycling-Hof gebracht werden kann. So spricht eine nicht namentlich bezeichnete Reihenendhausbewohnerin nach dem Frühstück zu ihrem Gatten: „Es ist an der Zeit das Laub zusammen zu harken.“ In der Tat, denke ich, Zeit für einen schönen gemütlichen Igelhaufen an geschützter Stelle.

Ich greife also zum Rechen und beginne das Laub in eine windgeschützte Ecke des Gartens zu harken, wo auch nicht alle Nase lang jemand vorbei getrabt kommt. Eine Mission voll Tierliebe und Naturschutz. Ich fühle mich gut. Für den Moment. Bis gerade eben…

„Was tust du?“

„Ich lege einen Igelhaufen an.“

„Einen Igelhaufen?“

„Einen Igelhaufen!“

„Warum?“

„Damit die Igel gut durch den Winter kommen. Da können sie rein krabbeln, sich zusammenrollen und Winterschlaf halten.“

„Ich weiß, wofür Igelhaufen gut sind. Ich will wissen, warum die bei uns überwintern sollen.“

„Wo sonst? Wir haben so schön viel Laub. Damit können wir doch Gutes tun.“

„Dann harke es zusammen und gib es den Nachbarn, dann können die auch was Gutes tun und einen Igelhaufen anlegen.“

„Ich gebe den Nachbarn Laub, damit sie Igelhaufen anlegen und die Igel dort überwintern?“

„Genau.“

„Das ist, als ob Merkel sechs Milliarden EUR an Erdogan übergibt, damit er die Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei behält.“

„Du vergleichst die syrischen Flüchtlinge, mit Igeln auf der Suche nach einem Winterquartier?“

„Beide sind auf der Suche nach Schutz vor dem sicheren Tod“, dramatisiere ich, „aber dir geht es natürlich nur darum, dass dein Garten ordentlich aussieht!“

„Willst du im nächsten Frühjahr das ganze nasse, nicht verrottete Laub zusammenfegen und entsorgen? Dann bitte, dann habe ich weniger Arbeit. Wenn du das nicht willst, nimm dir einen Sack, fülle ihn mit Laub und höre auf Unsinn zu reden.“

Reflexartig fülle ich einen Sack mit Laub. Als mir bewusst wird was ich getan habe, begehre ich auf: „Was kommt als nächstes, he? Eine Obergrenze für Igel in unserem Garten?“

„Nein. Aber eine Obergrenze für Laub in unserem Garten. Und die liegt bei null.“

„Bist DU die Frau, die die Grünen wählt und Greenpeace unterstützt? Oder bist du eher die Frauke Petry der Gartenarbeit?“, versuche ich an ihr Gewissen zu appellieren, während ich einen weiteren Sack mit Laub stopfe.

„Wenn du mir statistisch beweisen kannst, das in dieser Reihenhaussiedlung so viele Igel leben, dass es auf diesen einen Laubhaufen ankommt, dann werde ich dir helfen einen weiteren Igelhaufen anzulegen.“

„Einen weiteren?“

„Du hast bereits vorne am Zaun aus Ästen, Zweigen und Laub einen angelegt.“

Ich schweige und verlege mich auf passiven Widerstand. Die Harke führe ich schlampig, befülle die Mülltüten nachlässig. Viel fällt daneben und wieder ins Gras. Ich denke über eine Obergrenze für Laubsäcke nach.

Sollte ich im Frühjahr einen toten Igel im Garten finden, geht der auf mein Konto. Denn ich habe nur passiven Widerstand geleistet. Ich kann nicht behaupten, nicht gewusst zu haben, welche Dramen sich direkt vor meiner Terrassentür abspielten. Ich wusste es und konnte mich nicht entschließen in den aktiven Widerstand, in den Untergrund zu gehen.

Ich bin ein Mitläufer!