Gestorben wird später
Im Lokalteil des WESER KURIER vom 11. August 2013 springt dem Leser folgende Artikelüberschrift ins Auge “Bestattungen sollen teurer werden”. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten des weiteren Vorgehens:
– Man konzentriert sich nicht auf den Artikel, sondern jammert, dass schon wieder alles teurer wird und blättert weiter zum Sport.
– Man liest den Artikel, stellt fest, dass einem das ja egal sein kann, wenn man erst einmal tot ist. Und blättert weiter zum Sport.
– Man liest den Artikel darüber, in dem es um amerikanische Kult-Autos geht.
Wer den Artikel aber liest, bekommt eine ausführliche Erklärung geliefert, warum der Bremer Senat gar keine andere Wahl hat, als die Dienstleistungen rund ums Sterben im Schnitt um 9,5 Prozent im Preis anzuheben. Da der Verfasser dieser Zeilen, sich schon vor langer, langer Zeit der relativen Unsportlichkeit in die fülligen Arme geworfen und den inneren Schweinehund aus Prächtigste gehätschelt hat, blättert er nicht weiter zum Sport, sondern fragt sich, ob er es hier mit einer neuen und vermutlich wieder einmal vollkommen unhaltbaren Verschwörungstheorie zu tun hat.
Sind, im lächerlichen Streben nach allgemeiner Volksgesundheit, nicht unlängst erst die Zigarettenpreise drastisch erhöht worden? Als Folge dieser drakonischen Maßnahme haben sich viele Menschen das Rauchen abgewöhnt. Und bei all denen, die den Entzug nicht durch eine erhöhte Aufnahme überflüssiger Kalorien ausgeglichen haben, besteht das Risiko, dass sie tatsächlich gesünder und somit länger leben. Und wenn es richtig schief läuft, sind diese Menschen eventuell auch noch Vorbild für die nachfolgende Generation, die das Rauchen gar nicht erst anfängt. Hat sich eigentlich irgendjemand in diesem unserem Lande mal überlegt, was das für die Berufsgruppe der Bestatter bedeutet? Und jetzt noch eine Erhöhung der Gebühren für die Friedhöfe zum 1. September dieses Jahres! Ist diesen judikativ Fehlgeprägten denn nicht bewusst, dass da Heerscharen arbeitsloser Totengräber am Horizont aufziehen? Sollen die alle auf Pflegekräfte, Speditionskaufleute oder Rechtsanwalt- und Notarsgehilfen umschulen?
Die Situation ist ernst, es wird immer weniger gestorben:
1) Die moderne Medizin sorgt ohnehin dafür, dass wir immer älter werden.
2) Die legalen Drogen werden immer teurer oder sind rezeptpflichtig.
3) Die Zahl der Verkehrstoten nimmt weiter ab, weil die modernen Fahrzeuge stetig sicherer werden.
4) Die Krankenkassen locken mit Prämien bei gesundheitsbewusster Lebensweise.
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, aber da der Autor sowohl Polemik als auch Zynismus vermeiden möchte, vertraut er darauf, dass dem Leser auch so hinreichend klar ist, wohin die Reise geht. Das Sterben wird zu einem Luxus stilisiert, den man sich leisten können muss, will man seinen eigenen Tod nicht auf dem Rücken nachfolgender Generationen zelebrieren. Denn die Fixkosten bleiben gleich, da das Equipment, welches vorgehalten werden muss, um einen Todesfall gesetzeskonform abzuwickeln, sich nicht ändert. Die Kosten werden also auf weniger Beerdigungen verteilt, was die einzelne Beisetzung noch einmal verteuert. Bis hierher ist also eine Anhebung der Bestattungsgebühren einfach nur Unfug, da kontraproduktiv. Sterben an sich ist ja schon unbeliebt genug, muss man es da durch schnödes Gewinnstreben auf die Spitze treiben? Aber vielleicht ist das ja gewollt. Vielleicht soll damit von einer anderen Baustelle abgelenkt werden, die so kurz vor der Wahl auffällig brach liegt…
Denn eine ganz andere Dimension ergibt sich, wenn man dieses bundesland-lokale Vorhaben, als Aufwärmübung für eine denkbare rot-grüne Koalition auf Bundesebene nach der Wahl am 22. September 2013 annimmt.
Während Otto Krentzler, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre fordert, möchten sich weite Teile der deutschen Bevölkerung bereits mit 60 Jahren aufs Altenteil zurückziehen. Beide Positionen sind die extremen Ausschläge ein und desselben Pendels. Die Lösung dieses konfliktbeladenen Themas liegt natürlich in der Mitte, denn dort herrscht Ruhe, dort steht das Pendel still. Allein, Stillstand ist Rückschritt, wie die Wirtschaft weiß, und allein dieser fühlt sich der Politiker an sich verpflichtet. Natürlich ist die Rente mit 70 nicht das erklärte Ziel der Politik, das ist viel zu kurz gegriffen. Aber wie soll man dem Wähler werbewirksam nahebringen, dass die generelle Abschaffung des Renteneintrittsalters, quer durch alle Parteien längst gedacht und beschlossen wurde? Auf direktem Wege und direkt vor der Bundestagswahl jedenfalls nicht:
Lieber Arbeitnehmer, die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters bis hin zur Abschaffung desselben bedeutet natürlich nicht, dass wir dir deine Rente nicht gönnen. Selbstverständlich wollen wir dir deinen Lebensabend nicht versauen. Im Gegenteil. Wir, die Politiker, haben endlich erkannt, dass du ein mündiger Bürger bist. Und darum ist es nur richtig und gerecht, dir die freie Wahl zu lassen ob und wann du aufhören möchtest zu arbeiten. Jedoch bedenke dabei, dass du es dir leisten können musst. Denn von uns hast du immer weniger zu erwarten. MfG, Deine Regierung
Aber da ist ja noch ein, nicht zu vernachlässigendes, Ereignis nach der Rente; das Ableben. Nun ist das Sterben an sich kostenlos, aber alles was danach kommt ist es nicht, im Gegenteil. Schon in der Antike hat man den Toten, wenn sie den entsprechenden Status hatten, nicht nur reiche Grabbeigaben mit auf die letzte Reise gegeben, sondern auch Münzen auf die Augen oder unter die Zunge gelegt, mit denen der Tote auf seinem Weg in die Unterwelt, Charon, den Fährmann, bezahlen konnte, damit dieser den Verstorbenen sicher auf die andere Seite des Styx, des Totenflusses, zum Eingang des Hades brachte. Konnte dieser Obolus nicht entrichtet werden, war der Tote dazu verdammt, einhundert Jahre am Ufer des Totenflusses herumzuirren.
Mit dem sogenannten Charonspfennig allein, bekommt man heute niemanden mehr würdevoll zu Grabe getragen. Der verantwortungsbewusste Pensionär richtet seinen Tod so ein, dass noch genügend monetäre Reserven verfügbar sind, um sich den Fährmann gewogen zu machen. Möchte man also die bundesdeutschen Arbeitnehmer länger als bisher bekannt in Arbeit halten um die Zeit des Rentenbezuges zu verkürzen, wenn man denselben schon nicht komplett vermeiden kann, muss man das Sterben unattraktiv machen.
Aber bei allem Zynismus, bleibt doch die eine Gewissheit für den Bestatter:
Gestorben wird immer, nur eben später.