Nord-Süd-Gefälle

Die Geschichte meines Lebens, erzählt anhand der Fehler die mir unterliefen und der Verbrechen die ich beging. Und das nur, um meinen Anwalt zu bezahlen. Dabei hat er lediglich bewirkt, dass ich mir nach der Urteilsverkündung aussuchen konnte wie ich sterbe. Enthaupten, erhängen oder vierteilen. Die Klassiker also, wenn man vom Scheiterhaufen absieht, der in der Regel aber überwiegend weiblichen Delinquenten zu Teil wird. Was historisch gewachsen ist. Aber ich schweife ab. Mein Strafverteidiger hat mich also aufgefordert, die Geschichte meines Lebens aufzuschreiben und ihm die alleinigen Vermarktungsrechte zu überlassen. Das wäre dann seine Bezahlung. Sollte ich mich weigern, gingen meine beiden Töchter in Schuldhaft, der Staat würde ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkennen, bla bla bla… Für eine Geschichte im Achthundert-Seiten-Format fehlt die Zeit, mir bleiben nur noch acht Stunden. Aber für einen anständigen Zeitungsartikel wird es reichen. Den Rest können sich Ghostwriter ausdenken oder VHS-Schüler mit schriftstellerischen Ambitionen. Mir egal. Meinem Anwalt auch.

Eigentlich habe ich nur einen Fehler gemacht, aber wie das so ist: eins führt zum anderen und bevor ich zugeben konnte doch nicht katholisch zu sein, standen Adelheid und ich vor dem Weihbischof von Passau und gaben uns das Ja-Wort. Die Kontrolle der Glaubenskongregation habe ich, dank Vitamin B, sehr elegant zu meinen Gunsten entscheiden können. Ich kannte da einen Geistlichen in Lechbruck am See, der mit der Frau des Bürgermeisters was am Laufen hatte, was wiederum seiner eifersüchtigen Haushälterin sauer aufgestoßen ist. Worauf dieser dann wohl eine Hostie in den falschen Hals geraten ist. Sah nicht schön aus.

Ich habe für meinen Kumpel, dann die Leiche entsorgt. Weit weg von Bayern, im Teufelsmoor bei Bremen. Falls jemand das überprüfen möchte, bitte. Keine Leiche, keine Beweise, keine Klage. Alles gut, alles schick.

Ich hatte also was gut bei ihm und er hat das dann mit der Hochzeit auch ganz zufriedenstellend gedeichselt. Mir war zwar nicht ganz wohl dabei, aber Adelheid war so manche Sünde wert. Eine Stimme die einem innen am Hosenbein hoch kriecht, und ein dazu passendes Äußeres. Ich war verloren. Und sie lebten glücklich bis an ihr selig Ende.

Hätte, wenn, aber. Dabei ließ es sich ganz gut an. Zwei wohlgeratene Töchter, die ich erzog, während Adelheid mit großem Erfolg an ihrer Karriere bastelte, ein großes Haus mit unverbaubarer Aussicht, schicke Autos, feudale Urlaubsreisen. Und das war dann auch irgendwann der Anfang vom Ende. Club Robinson, Fuerte Ventura. Bei einer Ringelpietz-mit-Anfassen-Veranstaltung traf ich eine längst im Nebel meiner Vergangenheit entschwunden geglaubte Bekanntschaft, die mich partout hatte heiraten wollen. Damals. In einem anderen Leben. In den Vereinigten Deutschen Nordstaaten. Wer geschichtlich einigermaßen auf der Höhe ist, wird sich erinnern. An die blutigen Bürgerkriege, angestachelt von den Senatspräsidenten Hamburgs und Bremens, um die Beibehaltung des Länderfinanzausgleich. Die Geberländer drängten immer massiver auf einen kostengünstigeren Norddeutschen Länderverbund. Trotz aller Kriege, verhindern ließ sich die Gründung des Nordbundes nicht mehr. Am 1. Januar 2070 wurden die  Vereinigten Deutschen Nordstaaten aus der Taufe gehoben, bestehend aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen. Hauptstadt Osnabrück. Die hatten ja schon Erfahrung mit Friedensverträgen.

Ich bin gebürtiger Bremer, überzeugter Lutheraner und habe meinen Teil an Opferbereitschaft in diesem Krieg geleistet. Mir fehlt seitdem die linke Hand, die einem saarländischen Söldner und seinem Breitschwert zum Opfer gefallen ist. Aber ein sehr funktioneller Bajonettverschluss sorgt jetzt dafür, dass ich jede Menge verschiedener Aufsätze auf den Armstumpf stecken kann, so dass ich kaum eine Behinderung verspüre. Seriöse Lederhand zum Smoking, Piratenhaken zum Schleppen von Wasserkisten usw. Ich habe Greta im Krankenhaus kennengelernt. Sie war Referentin eines Pharmakonzerns und machte mich mit den verschiedenen Aufstecktools vertraut. Dabei kamen wir uns näher. Und näher. Kino, essen, Kuss, Sex, Heiratswunsch. Bis auf den letzten Punkt war alles einvernehmlich.

Ich setzte mich nach Bayern ab, da es kein Auslieferungsabkommen mir den Vereinigten Deutschen Nordstaaten hatte. Zur Sicherheit nahm ich auch noch die Bayerische Staatsbürgerschaft an. Ich schlug mich mit Gelegenheitsjobs durch, bis ich in Lechbruck  am See einen Job auf einem Campingplatz fand, der eine dauerhafte Beschäftigung bot, da er ganzjährig geöffnet hatte. Bei einem der jährlichen Alm-Abtriebe lernte ich meinen Kumpel den Geistlichen kennen, dem ich später, wie bereits erwähnt, zu Diensten sein konnte. Er machte mich Monate später auch mit Adelheid bekannt.

Ich traf Greta also auf Fuerte Ventura wieder. Was soll ich sagen… Fürchte den Zorn eines betrogenen Weibes. Sie machte mir eine Szene, um die sie jede Hollywood-Diva beneidet hätte. Adelheid hat sie absolut souverän abtropfen lassen; genauso souverän hat sie mich hinterher in den Wind gehängt, als wir wieder zuhause waren. Die Bayern waren in Glaubensfragen schon immer recht heikel und seitdem einer der ihren Papst war, ist das wahrlich nicht besser geworden. Mir wurde also der Prozess gemacht, wegen Verführung einer gläubigen Katholikin, Vortäuschung der Zugehörigkeit zum Katholizismus und Erschwindelns des Segens der allein selig machenden katholischen Kirche. 50 Jahre Gefängnis. Als dann später, mithilfe eines übereifrigen Reporters der Regenbogenpresse (möge er in der Hölle schmoren), noch herauskam, dass ich einen geweihten Priester für meine Zwecke missbraucht hatte, wurde alles wieder aufgerollt und neu bewertet. Da der Oberste Bayerische Gerichtshof zur einen Hälfte aus katholischen CSU-Parteigängern und zur anderen Hälfte aus genauso katholischen Grünen bestand, übrigens die erfolgreichste Koalition die Bayern je regiert hat, konnte das Urteil nur auf Tod lauten. Aber bitte biologisch abbaubar. Ohne Verwendung umweltschädlicher Chemie (Gift oder Gas) oder Verschwendung ohnehin knapper Energie (Starkstrom). Ergo Fallbeil, Strick oder an Armen und Beinen zwischen vier Pfingstochsen gespannt. Mit fehlenden Körperteilen hatte ich Erfahrung, ich entschied mich also für das Fallbeil. Aber vorher muss ich mit ansehen wie mein Kumpel, der Priester, auf dem Scheiterhaufen für seine Beihilfe an meinen Sünden bestraft wird. Wie gesagt, in Glaubensfragen sind die Bayern sehr speziell.

Ich glaube, ich muss langsam zum Schluss kommen, ich höre Stimmen auf dem Flur. Wir werden abgeholt, mein Priester und ich. Der Kerkermeister hat mir vorhin das Programmheft gezeigt. Das Publikum bekommt echt was geboten. Ein sechzig minütiger Live-Act der „Kastelruther Spatzen 3rd Generation“ anlässlich ihres 125sten Echos in der Sparte „Volksmusik national“, dann wir mit Scheiterhaufen und Guillotine, danach ein Gewinnspiel, gesponsort von BMW, Audi und Franziskaner Weißbier und schließlich das Bundesligalokalderby Bayern München vs. 1860 München. Und all das auf dem heiligen Rasen der unter Denkmalschutz stehenden Allianz-Arena. Sogar das Wetter spielt mit. Alles in allem ein bunter Familiennachmittag an einem sonnig-warmen Samstag. Ach ja, anschließend Grillparty.

Alles auf einen Blick