Kundenservice
Weihnachten ist vorbei, das Jahr aber noch nicht. Die Knaller für Silvester dürfen noch nicht verkauft werden, schneien wird es wohl erst im Januar; was also macht ein Großteil der Bevölkerung? Er geht shoppen. Nach Weihnachten geht man aber nicht einfach nur shoppen, das kann man das Jahr über machen. Es darf also ruhig etwas exklusiver sein: Entweder im „Sale“ die Schnäppchen jagen oder die hässlichen T-Shirts und Hoodies umtauschen, die Großmama zusammen mit einer Verkäuferin den lieben Enkeln ausgesucht und diesen auch hemmungslos unter den Weihnachtsbaum gelegt hat, ohne Rücksicht darauf, was diese denn tatsächlich gerne hätten. Auch dabei kann es zu berichtenswerten Erlebnissen kommen, aber das soll ein anderes Mal erzählt werden. Ich werde Ihnen, liebe Leser, heute beweisen, dass es absoluter Quatsch ist, Deutschland als Servicewüste zu bezeichnen. Die nachfolgende Geschichte habe ich höchst selbst erlebt, sie hat sich tatsächlich genauso zugetragen:
Ein u.a. in Bremen ansässiger Damen-, Herren- und Kinderausstatter, lässt der Kundschaft mittels der Tageszeitung einen Prospekt zukommen, dem zu entnehmen ist, dass sie u.a. Herrenmäntel einer gehobeneren Marke, die sich selbst mit einem Wort tituliert, dessen Synonym CHEF ist, im Angebot haben. Der Marke durch positive Erfahrung zugetan, beschließe ich die Teile mal anzuschauen und –zuprobieren. Ich fand nicht nur eine freundliche Verkäuferin, die sich meiner annahm, ich fand mit ihrer Hilfe auch zügig ein passendes Exemplar. Leider kam ich erst am Nachmittag dazu, den Mantel aus der Tüte zu ziehen und nochmal in Ruhe vorm Spiegel anzuziehen. Dann jedoch nahm das Schicksal seinen Lauf und sorgte dafür, dass besagter Ausstatter für mich bis in alle Ewigkeit ein Monument an Kundenorientierung sein wird:
ES FEHLTE EIN KNOPF!!!
Leicht genervt, dies nicht bereits vor Ort bemerkt zu haben, packte ich den Mantel wieder ein und fuhr zurück. Die Verkäuferin vom Vormittag war nicht zu sehen, aber ich fand eine ihrer Kolleginnen. Ich zeigte ihr den Mantel und startete damit ein Programm, das mich zutiefst beeindruckte.
Sie nahm den Mantel und suchte nach den obligatorisch vorhandenen Ersatzknöpfen. Die kleine rote Tüte mit den Knöpfen wurde gefunden und mit der Ansage: „Folgen Sie mir bitte zur Schneiderei“, setzte sie sich in Richtung Rolltreppe in Bewegung. Dies in einer Geschwindigkeit, die einen Eurofighter zum müden Doppeldecker degradierte. Mein Luftholen, um sie mit Worten zu bremsen, wurde vor lauter Diensteifer nicht bemerkt. Noch vor Erreichen der Rolltreppe traf sie auf eine Kollegin. Diese sprach sie an, wohin es denn so eilig ginge. Im Vorbeiflug wurde ihr Bescheid zuteil, und der Kollegin, die etwas souveräner im Umgang mit Situationen solcher Art war, gelang es das Triebwerk zu drosseln und die Eilfertige, und damit auch mich, zu dem Ständer mit den Mänteln umzuleiten. Dort verharrte sie und sprach also wie folgt: „Du kannst doch nicht einfach den Ersatzknopf aus diesem Mantel entfernen und annähen lassen. Der gehört doch sowieso dazu, auch wenn der Mantel alle Knöpfe hätte.“ Dabei wühlte sie in einem anderen Mantel nach der kleinen, roten Tüte, fand diese und fuhr fort: „Nun können wir in die Schneiderei gehen und den Ersatzknopf aus dem anderen Mantel anbringen lassen.“
„Aber dann fehlt ja an diesem Mantel der Ersatzknopf“, monierte Verkäuferin Nummer eins nicht unpfiffig.
„Den bestellen wir nach!“
Wieder holte ich Luft, um eine näher liegendere Lösung ins Spiel zu bringen und wieder fand ich kein Gehör, wurde aber auch nicht ignoriert:
„Nein, sagen sie nichts. Es ist uns eine Freude dieses Problem kurzfristig für Sie zu lösen. Wir sind ja so dankbar, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, wegen eines Knopfes am gleichen Tag zurückzukommen. Hoffentlich hatten Sie keinen allzu weiten Weg.“
„Hin und zurück 50 Kilometer.“
„Um Gottes Willen, glauben Sie mir: Es soll ihr Schaden nicht sein. Folgen Sie uns bitte zur Schneiderei.“
Nun joggte ich also zwei Kampfjets hinterher. Als ich mit hängender Zunge die Schneiderei erreichte, wurde mir mit tieftrauriger Miene gebeichtet, dass die Schneiderei gerade in der Pause und somit nicht besetzt sei.
Ich interpretierte es dahingehend, dass die Dame, die Dienst hatte gerade zur Pause gegangen war und darum nicht verfügbar sei. Man wies mir einen Platz an, und bat mich zu warten. Wieder hob ich an zu sprechen. Wieder kam ich nur dazu einzuatmen:
„Nein, wir sorgen dafür, dass die Schneiderei umgehend aus der Pause geholt wird. Bedienen Sie sich doch bitte am Wasserspender.“
Ich ignorierte den Wasserspender und machte Platz.
Nach 15 Minuten tauchten drei Damen vor mir auf. Die beiden Verkäuferinnen und die Abteilungsleiterin der Schneiderei. Letztere hatte den Knopf nicht nur angenäht, sondern auch den Mantel an ebendieser Stelle zugeknöpft, um zu beweisen, dass der Knopf nicht nur dran, sondern dank ihres Sachverstandes eine ganz und gar wundervolle Symbiose mit dem, sich bis zu diesem Zeitpunkt bestimmt nutzlos fühlenden, Knopfloch eingegangen sei.
Hier hätte es eigentlich sein Bewenden haben können. Eigentlich. Aber nun wurde ich von drei Paar Damenhänden ausgezogen. Zu meiner Erleichterung stoppten sie bereits, nachdem sie mir meinen alten Mantel vom Körper komplimentiert hatten. Unverzagt steckten sie mich in den neuen, knöpften ihn zu, überzeugten sich davon, dass der neue Knopf am Mantel nicht nur mit dem ihm zugewiesenen Knopfloch harmonierte, sondern auch in Reih und Glied zu den anderen Knöpfen stand. Sechs Hände schälten mich aus meinen neuen Mantel, hüllten mich in meinen alten, packten den Neuen in eine Plastiktüte und händigten mir nicht nur meinen neuen, nun voll nutzbaren Mantel, sondern auch noch einen Gutschein aus, um mir meine Mühen zu vergelten. Dabei waren sie sichtlich erleichtert, wobei ich nicht genau erkennen konnte weshalb: Weil ich keine Szene gemacht hatte oder weil sie endlich die gute Tat des Tages vollbracht hatten? Aber eindeutig hatte ich ihren Tag mit Leben gefüllt. Es ist schön gebraucht zu werden…
Aber eins ist mir noch immer nicht klar, und hier kann ich die Frage stellen, ohne dass die beflissenen Damen es verhindern können:
Warum haben sie nicht einfach den Mantel ausgetauscht?
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