DSL 50000

“Guten Tag, Herr Bothe. Hier ist Ihr Telefon- und Internetanbieter. Mein Name ist Köster.”

“Guten Tag, Frau Köster.”

“Lieber Herr Bothe, wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen. Es tut uns entsetzlich leid, aber wir haben Sie vergessen. Und dafür möchten wir uns ganz ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen.”

Ich gebe zu, ich fühlte mich geschmeichelt. Schließlich passiert es nicht jeden Tag, dass ich Anrufe von großen Konzernen bekomme, die sich bei mir entschuldigen möchten, wofür auch immer. Es kommt sogar ausgesprochen selten vor. Im Grunde genommen gar nicht. Tatsächlich was es das erste Mal. Und ich hatte auch nicht den Hauch einer Ahnung, wofür man sich so überschwänglich entschuldigte. Meines Wissens gab es zur Zeit keinen Anlass, sich im Büßerhemd meinen Gehörgang hinaufzuwinden. Aber vielleicht wollte das Telekommunikationsunternehmen pauschal für all den Unbill der letzten Monate, wo eine Entschuldigung angebracht gewesen wäre, aber keine kam, um Absolution bitten. Ich war geneigt Gnade zu gewähren, wollte es denen aber auch nicht allzu leicht machen.

“So, möchten Sie! Schon wieder! Und wofür dieses Mal?”

“Na ja, weil nämlich, wir Sie doch vergessen haben.”

Ach ja…

“Inwiefern haben Sie mich vergessen?”

“Ja, wissen Sie, das ist nämlich so: Vor vier Monaten hatten wir ein besonderes Treueangebot für alle langjährigen Kunden.”

Ich weiß ja nicht wie Sie, liebe Leser, den Begriff “langjährig” definieren, aber anderthalb Jahre fällt für mein Verständnis nicht darunter.

“Und was für ein Angebot wäre das wohl gewesen?”

“Ja, wissen Sie, das ist nämlich so: Unseren langjährigen Kunden hatten wir angeboten ihre bestehende DSL 25000-Leitung im Bezugspreis um € 10,00 zu senken, oder alternativ den aktuellen Bezugspreis beizubehalten und dafür auf DSL 50000 aufzurüsten.”

Zehn Euro haben oder nicht haben, sind ja schon mal zwanzig Euro.

“Dann senken Sie den Preis um € 10,00. Die 25000-Leitung reicht mir.”

“Ja, wissen Sie, das ist nämlich so: Da geht jetzt nicht mehr. Weil nämlich, das Angebot war limitiert auf drei Monate.”

“Noch mal ganz langsam, nur damit sicher bin, bis jetzt alles richtig verstanden zu haben: Vor vier Monaten hatten Sie ein Angebot, welches limitiert war auf drei Monate. Und weil Sie vergessen haben, mich rechtzeitig zu informieren bzw. zu fragen ob und wenn, welche Option ich in Anspruch nehmen möchte, rufen Sie mich an um sich bei mir zu entschuldigen?”

Ich spürte förmlich, wie Frau Köster nach einer verborgen Botschaft hinter meinen Worten suchte.

“Ausdrücklich entschuldigen!”

“Natürlich. Ausdrücklich entschuldigen. Sicher.”

“Also… dann… JA!

“Wenn Sie mich nicht angerufen hätten, hätte ich es nicht gemerkt, und alles wäre im Lot gewesen. Also? Was wird das jetzt hier?”

“Ja, wissen Sie, das ist nämlich so: Sie können ja immer noch die DSL 50000-Leitung zum aktuellen Bezugspreis bekommen. Und ein kostenloses Jahresabo einer 14-tägigen Fernsehzeitschrift. Als Entschuldigung, weil wir Sie …”

“… vergessen haben, als es das Treueangebot für langjährige Kunden gab. Ich weiß”, vervollständigte ich ihren Satz.

Bei vier Laptops, ebenso vielen Smartphones und zwei TV-Geräten die sich in meinem W-Lan-Netz tummeln, fand ich die Idee einer schnelleren Datenleitung gar nicht mal so verkehrt. Ich willigte ein.

“Dann werden Sie in zwei Tagen eine Sprachnachricht bekommen, die Ihnen mitteilt, ab wann die Leitung geschaltet ist und wie Sie Ihren Router reseten müssen, um die alte Leitung zu de- und die neue Leitung zu aktivieren.

Wissen Sie, das ist nämlich so: Das geht nicht automatisch. Das müssen Sie selber machen. Aber dazu werden Sie in zwei Tagen eine Sprachnachricht bekommen. Oder möchten einen Termin mit einem unserer Techniker vereinbaren? Der erledigt das dann für Sie. Aber das kostet extra, wissen Sie?”

“Nein, mir reicht die Sprachnachricht.”

“Gut, dann notiere ich im System, dass Sie auf den Techniker verzichten, und selber reseten. Und ich muss Sie darüber informieren, dass sich mit Annahme dieses Angebots die Laufzeit Ihres Vertrages um zwei Jahre verlängert.”

Ich stutze, erinnerte mich an den Murks, als wir vor 19 Monaten den Anbieter gewechselt hatten. Wir waren für vier Wochen ohne Internet und Festnetz.

Ich blieb bei meiner Entscheidung.

Tatsächlich, zwei Tage später bekam ich eine computergenerierte Sprachnachricht die mir erklärte, wie ich manuell reseten müsste, um ab sofort viel Spaß mit meiner DSL 50000 Leitung zu haben. Ich tat wie geheißen und vergaß die Angelegenheit.

Am Abend saß ich vor dem Fernseher und war bis zur ersten Werbeunterbrechung des Spielfilms gekommen, als das Bild sich in bunte bauklötzchengroße Segmente auflöste und einfror. Ein paar Sekunden später ging es fehlerfrei weiter. Für zwanzig Minuten. Dann wieder Bauklötzchen. Ich ging, den Router ein weiteres Mal zu reseten.

Ich ging noch viele weitere Male den Router reseten. Die Hotline meines Providers teilte mir mit, sie würden den Fall prüfen. Nach zwei Tagen erhielt ich eine computergenerierte Sprachnachricht die mir erklärte, wie ich manuell reseten müsste, um ab sofort viel Spaß mit meiner DSL 50000 Leitung zu haben.

Langsam, mit wiegendem Gang, trat ich dem Router gegenüber. Die Augen einschüchternd auf das, Schuldlosigkeit heuchelnde, Gerät gerichtet, schnellte meine rechte Hand nach vorn und riss in einer fließenden Bewegung den Stecker aus der Steckdose. Die Blinklichter und Dioden verendeten und erloschen vor meinen Augen. Nach zehn Minuten stellte ich die Energieversorgung wieder her und reanimierte den Patienten.

Ich weiß nicht, ob ich nach diesem Gewaltakt endlich die 50000er Leitung hatte, oder immer noch die 25000er. Aber alles läuft wieder und es möge bitte niemand von meinem Anbieter anrufen, um sich zu ausdrücklich zu entschuldigen.

Wissen Sie, das ist nämlich so…